Brief einer Mutter – Nils damals…

Brief einer Mutter - Mein Sohn NilsDas ist Nils – mein absoluter Sonnenschein!

Geboren am 07.07.99 lief alles bestens, bis auf die Ehe mit seinem Vater. Im Frühjahr 2001 trennte ich mich, und zog vorübergehend zu meinen Eltern nach Büdingen / Rohrbach. Ich suchte uns eine kleine Wohnung in Bruchköbel (30 km von meiner Familie entfernt), da sich dort mein Arbeitsplatz befand und ich nach der Trennung kein Auto mehr besaß. Im August fand der Umzug statt und unser neuer Lebensabschnitt konnte beginnen… Den Sommer verbrachten wir weiterhin oft bei meinen Eltern, wo Nils die Zeit im Garten sehr genoss. Eines Tages konnte Nils nicht mehr auf sein Dreirad klettern, klagte über Schmerzen in der rechten Hüfte und bekam hohes Fieber. Der Kinderarzt stellte eine Sommergrippe fest und überwies uns zu einem Orthopäden, der nach einer Ultraschalluntersuchung nichts feststellen konnte. Das Fieber ging – die Schmerzen auch und wir konnten im September unsere neue Wohnung beziehen.

 

Nils besuchte einen Vorkindergarten und klagte immer wieder mal über Schmerzen im Po-Bereich. Es wurde schlimmer und wir wurden in die Kinderklinik nach Hanau eingewiesen. Nils hatte sehr festen Stuhlgang und nach einem Einlauf mit zwei Tagen Beobachtung schien alles wieder o.k. Einige Zeit später zog Nils sein rechtes Bein hinterher. Wieder Untersuchungen – wieder nichts, bis auf die Aussage, dass es am Wachstum läge.

Am 11.November – Nils war bei seinem Vater – brachte er mir meinen Sohn zusammengebrochen und heulend. Sofort fuhren wir wieder in die Klinik nach Hanau. Herr Dr. Bertram untersuchte zwei Tage mein Kind und ich hörte die schlimmsten Worte meines Lebens :ein riesiger Tumor in der linken Hüfte, sofort nach Gießen, Station Peiper, KREBS…

Ich fiel und fiel und dachte… an nichts mehr, denn kurze Zeit später waren wir schon da. Kinder mit Infusionsständern, eingefallene Gesichter und doch ein kleines Lächeln ..!? Wo sind wir hier –

WARUM

Es ging alles rasend schnell. Die Feststellung: Knochentumor – „Ewing Sarkom“ – im fortgeschrittenen Stadium.

Sie setzten Nils einen Katheter und schon ging es los: Brief einer Mutter (Nils)Chemotherapie – hochdosierte Chemo, um IHN (den Tumor) kleiner zu bekommen – knallhart!!! 6 Blöcke à 6 Tage Chemotherapie und 3 Wochen Pause waren geplant. Nicht ganz ein halbes Jahr.

Eine anschließende Stammzellentransplantation und danach die große OP in Münster. Komplette Entfernung der linken Beckenhälfte und der Versuch das Bein irgendwo in die Hüfte zu nähen. Wie? Das wusste keiner… Überlebenschance: 30 %…? 40%…?

Die Ärzte hatten keinen vergleichbaren Fall…

Wenn man es beschreiben soll, kann ich sagen, wir hatten uns nach drei bis vier Wochen „eingewöhnt“. Ich lernte andere Schicksale kennen – wir saßen alle „in einem Boot“! Meine Familie gab uns Halt. Sein Vater… na ja, lassen wir das!

Einer meiner Rettungsanker fiel in das Elternhaus. Dort wohnte ich während der sechs Tage dauernden Chemotherapie.

Doch so vieles war in dieser Zeit „geplant“, aber nicht durchführbar. Nach dem ersten „Block“ bekam Nils eine Infektion. Antibiotika – Mundschutz – steril, steril, steril… Nach dem 2.Block schafften wir es zwei Tage zu Hause verbringen zu dürfen und so ging es weiter. Zwei bis drei Tage zu Hause – Fieber – Infektion…

Nils verlor seine Haare. Von seinen speckigen Bäckchen nichts mehr zu sehen – oh mein Gott…

Aber sein Lächeln – sein Lächeln gab uns Halt…

Das Pendeln zwischen Gießen, Büdingen und Bruchköbel war allerdings organisatorisch fast nicht zu schaffen. Meine Schwester Petra – die zweite Mama in dieser Zeit – und meine Eltern mussten, bevor wir für ein paar Tage nach Hause durften, nach Bruchköbel um dort alles zu desinfizieren, waschen, putzen, usw. Decken, Teppiche, kurz: alles was waschbar war, wurde mit nach Büdingen genommen, gewaschen, im Trockner getrocknet und wieder zurück nach Bruchköbel gebracht. Sie kauften ein und so konnten wir immer mal ein paar glückliche Stunden zu Hause verbringen. Zwar musste Nils immer einen Mundschutz tragen und durfte keine Freunde empfangen, aber er genoss jede Minute zu Hause und er gab uns das Gefühl für eine kurze Zeit glücklich zu sein.

Leider ging es auch zu Hause nicht ohne Spritzen und Medikamente. Die Angst, dass Nils Fieber bekommt, was bedeutete, dass wir sofort wieder nach Gießen mussten, war unser ständiger Begleiter. Unser „Urlaub“ zu Hause wurde unter anderem auch von „Schwester Hanne“ aus Gießen ermöglicht. Sie besuchte uns täglich und gab mir Sicherheit und Halt. Ebenso Taxifahrer Jörg. Er wurde zum „Freund“ und benutzte bei den Fahrten immer ein sauberes Fahrzeug, trug Mundschutz… Alle halfen mit… Nils und ich alleine – das waren wir nur zum Schlafen. Es wäre anders nicht möglich gewesen. Ich konnte ja nicht mal einkaufen gehen. Erstens hatte ich, wie schon erwähnt, kein Auto und Nils durfte ja nicht mal mit in einen Supermarkt!

Doch auch in dieser Zeit ließen uns unsere – ja, Engel möchte ich sagen, – nicht im Stich. Petra und ich lernten Manuela und Olli im Elternhaus kennen. Sie bekamen ein Gespräch mit, in dem es um unser Problem „Auto“ ging. Wie oft hätte ich zu Hause was holen müssen und jede Minute konnte selbst meine Familie nicht das sein. Sie hörten sich unsere Geschichte an und kurze Zeit später lernten wir Jutta und Gaby kennen. Sie lösten unsere Sorgen ganz schnell. Von den Freunden der Kinderkrebshilfe Gieleroth bekam ich ein Auto und finanzielle Unterstützung. Mir kommen heute noch die Tränen, wenn ich daran denke. Natürlich ist unser Sonnenschein Nils und seine Gesundheit das Wichtigste, aber realistisch gesehen: auch solch eine Zeit geht nicht ohne Geld! Ich beantragte Sonderurlaub und Sozialhilfe, aber es reichte hinten und vorne nicht aus. Neue Decken, Kissen, Matratzen und das Leben in Gießen war teuer… Wenigstens hatte ich diese Sorgen nicht mehr und ich konnte mich voll und ganz auf Nils konzentrieren.

Meinen Dank kann ich nicht in Worte fassen – Wahnsinn!!!

Liebe Menschen und ihre Spenden ließen mich alles meistern! Und nicht nur das. Sie alle wurden ein Teil von uns und ich konnte, wann immer mir danach zu Mute war, mein Herz ausschütten – und kann es heute noch!

Mit vielen Komplikationen verbunden sammelte Nils seine eigenen Stammzellen, die ihm nach dem sechsten Chemoblock und einer Hochdosierung wieder zugeführt wurden.

4 1/2 Wochen Transplantationsraum, offene Schleimhäute, künstliche Ernährung, völlig apathisch – die Hölle kann nicht schlimmer sein…

Aber die OP in Münster wartete. Er sollte nach der Transplantation operiert werden, jedoch ließen das seine Blutwerte so nicht zu. Seine Thrombozyten, die für die OP sehr wichtig waren, fielen immer wieder…

Nun kam auch noch eine schlimme Leberkrankheit hinzu. Es blieben uns nur noch fünf Wochen Zeit bis zur OP – die einzige Chance den Tumor vollständig zu entfernen…

„Spätestens nach diesen fünf Wochen müssen wir operieren, da sonst der Tumor wieder wachsen kann…“

Ein Medikament aus der Schweiz soll die Leber und somit Nils retten. Die Ärzte gaben eine 10 %tige Chance, dass das Medikament wirkt.

„Es sieht sehr schlecht aus Frau Neunemann“…

Doch dann – es gibt sie: WUNDER!!!

Nils‘ Leber arbeitete wieder – keiner konnte es glauben. Wie so oft in dieser schlimmen Zeit, im schlimmsten Tief: Nils, der Kämpfer, der Held, das Wunder…

Von Tag zu Tag ging es ihm besser. Noch eine Woche bis zur OP. Doch wo bleiben die blöden „Trombos“? Ständig bekam er einen Beutel angehängt und: sie stiegen, ja!!! Sie fielen… – shit…

Noch einmal wurden Stammzellen transplantiert und nach einigen Telefonaten mit Prof. Dr. Reiter und Uniklinik Münster die Aussage: „Wir versuchen es!“

Am Tag der Abreise, das Auto war schon gepackt und alles organisiert, ein Anruf aus Münster: „Zu gefährlich, Nils würde die OP mit diesen Werten nicht überleben…“

Die letzte Alternative stand auf dem „Plan“. Bestrahlung. Hohe Dosis. Nebenwirkungen…

2 x täglich wurde Nils in einen Tiefschlaf gelegt. Er verkraftete auch dieses wieder gut, bis er akuten Sauerstoffmangel bekam. Nils musste lernen vorübergehend mit einer Sauerstoffmaske zu leben.

Dann der große Tag. Letzte Bestrahlung. Nun mussten wir noch drei Wochen bleiben. Nils verlor durch die künstliche Ernährung sein Hungergefühl. Doch auch das schaffte er und Ende August 2002 ging es nach HAUSE!

In der stressigen Zeit Bruchköbel, Büdingen, Gießen sind wir wieder nach Büdingen gezogen, da es ohne die Hilfe meiner Eltern, Petra und Angelika (auch eine Schwester) nicht ging. Ein schneller Umzug in dieser schweren Zeit und wieder wurden von den Freunden der Kinderkrebshilfe Probleme weggezaubert. Nils entwickelt sich prächtig, aber im Februar 2003 ein Schock: ein Fleck auf dem Röntgenbild. Sonderuntersuchung in Frankfurt: nur eine Vernarbung!

Nach der Reha im Schwarzwald konnte Nils endlich in den Kindergarten. Wir sind noch einmal umgezogen und alles läuft prima!!! Regelmäßige Untersuchungen ergaben bisher nur Positives. Was die Zeit bringt – wir wissen es nicht. Nils‘ Bein wird nicht ganz mitwachsen. Es ist nicht abzuschätzen, was noch alles auf uns zukommt. Die Bestrahlung hat die Wachstumsfugen (besonders im Beckenbereich) angegriffen, die Folgen… wir wissen es nicht. Es wird auf uns zukommen, doch wir hoffen, dass es auch dann eine Lösung geben wird.

Unser aller Problem bei dieser Krankheit ist, dass der Krebs heimtückisch ist und immer wieder kommen kann – aber nicht jetzt !!!

Jetzt leben wir – genießen jeden Tag, jede Stunde umso mehr. Nie die Hoffnung verlieren !!!

Es gibt so viele Wunder – wir haben es erlebt…

Nils war mit auf dem Fest in Gieleroth und durfte drei tolle Tage bei Euch verbringen. Wir treffen uns immer wieder mit unseren Freunden aus Gieleroth. Jutta, Gaby, Jörg, Olli, Irene, Ihr seid ein Teil von uns! Danke an Euch alle, an die Freunde der Kinderkrebshilfe und den vielen lieben Menschen, die auch kleine Wunder vollbringen!!!

 

Kerstin Wolf